Mona Kleine
Renaissance des Körpers in der soziologischen Theorie
Auf den ersten, oberflächlichen Blick verhält es sich mit der Soziologie des Körpers nicht anders
als mit anderen Teildisziplinen dieser Wissenschaft: einerseits meint man eine Konjunktur des
Themas, des Körpers (Burschel, Distelrath, Lembke, 2000:15) feststellen zu können, andererseits
scheint eine Aufnahme in einen wie auch immer formulierten soziologischen Mainstream, wie er in
Handbüchern, soziologischen Einführungen etc. zu finden wäre, noch in weiter Ferne.
Die Soziologie des Körpers hat ohne Zweifel in den letzten 30 Jahren an Bedeutung gewonnen. Die im
Titel angekündigte "Renaissance" des Körpers in der soziologischen Forschung erstreckt sich
demnach bereits über einen längeren Zeitraum-trotzdem ist der Einschätzung Robert Gugutzers (2004),
der Körper sei nunmehr in der Soziologie angekommen, nur bedingt zuzustimmen. Zwar lassen sich und
werden die soziologischen Klassiker "körpersoziologisch (ge-)lesen" (Gugutzer, ebd.; Chris Shilling,
2001); ebenso weist man diejenigen, welche dem menschlichen Körper eine zentrale Rolle in ihren
soziologischen Arbeiten zuschreiben, als "Körpersoziologen" aus. Und selbstverständlich ist die
herausragende Bedeutung der Arbeiten von bspw. Pierre Bourdieu (1982) und Michel Foucault (1977),
Erving Goffman (1971, 1974) und Bryan S. Turner (1991, 1996) für die Entwicklung eine
körpersoziologischen Theorienbildung einnehmen, unbestritten - und dies auch, sieht man vom
Letztgenannten ab, ohne explizit eine Körpertheorie zu formulieren.
Gleichwohl ist trotz oder vielleicht auf Grund der mittlerweile recht unübersichtlichen,
heterogenen Diskurse über den Körper eben dieser wieder verschwunden oder nur noch vermittelt
auszumachen (Burschel, Distelrath, Lembke, 2000:15) Dies mag nur auf den ersten Blick überraschen.
Denn trotz des in den körpersoziologischen Arbeiten bekundeten Interesses an den
physisch-materiellen Grundlagen des Sozialen – hier: der Körperlichkeit des Menschens – wird diesen
letztlich doch mit (soziologistischem?) Misstrauen begegnet. Der genuin soziologische Sinnbezug -
wie verhält es sich mit der "wechselseitige[n] Durchdringung von Körper und Gesellschaft"
(Gugutzer, 2004:146) - lässt nur zu häufig keinen Raum mehr, für eine Fruchtbarmachung des
Konzeptes "der Mensch ist sein Körper und er hat seinen Körper" ( Helmuth Plessner, 1975). Für die
Soziologie ist dieser Doppelaspekt des menschlichen Lebens von enormer Wichtigkeit, denn hier
findet der grundlegende Gedanke für ein soziologisches Verständnis des Körpers: der Mensch gehört
als leibliches (materiell-physisch) in den Bereich der Natur, als Körperhabender ist er ein
Kulturwesen. Seit Foucault hat der Körper für die Analyse von Macht- und Herschaftsphänomenen
zwar an Bedeutung gewonnen, aber auch hier ist die Leiblichkeit noch längst keine Basiskategorie
(Heitmeyer, Soeffner, 2004).
Gegenwärtige Ordnungsdiskurse scheinen sich zwischen zwei Polen zu bewegen: einmal werden
Freisetzungs- und Flexibilisierungsprozesse des Körpers (und seiner -Gestaltungsmöglichkeiten)
konstatiert, die Sorge um den Körper und dessen Positionierung in einer postmodernen Umgebung
(Zygmunt Bauman, 1997) gleichsam privatisiert. Recht selbstbewusst wird das Ende des
Bentham’sche/Foucault’sche Panoptikum verkündet (Bauman, 1997; Sennett, 2000). Körper und
Körperlichkeit, der Mensch in seiner leiblichen Existenz ist demnach nicht länger im (modernen)
Griff eines Gärtners (Bauman, 1992), der die ‘krumm gewachsene Pflanze richten oder das unnütze
Element nützlich oder das Gefährliche unschädlich machen musste.
Bezugspunkte "am anderen Ende" sind hingegen Bestimmungs-, Festsetzungs- und
Instrumentaliserungsstratgien, die sich gerade durch einen direkten Zugriff auf die materiell-
physische Basis des menschlichen (Zusammen-) Lebens auszeichnen.
Dieser konkrete Bezug auf Körperlichkeit findet sich in den aktuellen Debatten über "ein bisschen
Folter" der Terrorabwehr wegen, über biometrische Ausweise und über die Sorge um den Rückgang der
Geburtenraten in Deutschland. Bei allen Unterschieden wird deutlich, dass die Sorge um die
materielle Basis des Lebens nicht der Privatisierung überlassen wird, wie es in einigen
postmodernen Einschätzungen anklingt. Wie diese gesellschaftlichen Macht (- und Herrschafts)
Phänomene thematisiert, problematisiert werden, ob dabei körpersoziologische Perspektiven
eingenommen werden, soll kritisch diskutiert werden. Hier wird die Hypothese formuliert, dass
sich an der Zurückhaltung der Soziologie gegenüber einer körpersoziologischen Lesart eine zentrale
Schwierigkeit der soziologischen Disziplin feststellen lässt: ob und wenn ja, an welchem Punkt,
die Soziologie vor den materiell-physischen Gegebenheiten des Lebens "kapitulieren" muss.